Alex Emmler beim Les 3 Ballons – Pas d´excuse

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Freitag, 14. Juni. Im Fernsehen läuft das WM-Spiel Spanien vs. Holland. Es ist schon kurz nach 22:00 Uhr als Arjen Robben in unnachahmlicher Manier das 2:1 für Holland erzielt. Ich bin müde und sollte eigentlich schlafen, aber eine innere Unruhe hält mich wach. Völlig abwesend liege ich auf dem Bett des Hotelzimmers und starre auf den Fernseher. Ich bin in Luxeuil les Bains; dem Startort von „Les 3 Ballons“: 213 km und 4.300 hm.

 

2 Zahlen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen und mich daran hindern, zur Ruhe zu kommen. Wie soll ich das schaffen? Die letzten Wochen vorm Rennen stand das Rad wegen technischer Defekte mehr in der Werkstatt als daß ich damit trainieren konnte. Kettenriss, abgerissenes Schaltwerk, defektes Tretlager, usw. machten eine reibungslose Vorbereitung sehr schwierig und erforderten höchste Kreativität bei der Trainingssteuerung. Ich wende meinen Blick vom Fernseher ab, drehe mich zur Seite und schlafe ein. Aber es ist mehr ein Schlummern. Ich finde einfach keine Ruhe und werde immer wieder wach. Als dann um 5:30 der Wecker klingelt, ist das keine Qual sondern eine Erlösung. Die Nervosität lässt jedoch nicht nach. Im Minutentakt muss ich aufs Klo. Ich gehe zum Frühstückssaal, um mir eine gute Grundlage fürs Rennen zu legen. Ich schlage ordentlich zu und gehe zurück ins Zimmer, um mich umzuziehen. Etwas ratlos stehe ich vor meiner Sporttasche. Was ziehe ich an? Die Wetterprognosen sagen ca. 20 Grad, Sonne-Wolken-Mix aber kein Regen voraus. Ich entscheide mich für Kurzarmtrikot, Weste, Armlinge und kurze Hose. Ich schnappe mein „Edelweiß“ und rolle zum Start. Die Carbondichte ist sehr hoch; zahlreiche Boliden weit über der 5.000 Euro-Grenze.

7:15! Start! Um 7:33 rolle ich über die Startlinie. Ab jetzt gilt´s. Die Vorbereitung war turbulent, aber scheiß drauf! Vertrau auf deine Stärken! Keine Ausreden! Pas d´excuse!

Die ersten 25 km gehen flach durch zig Ortschaften und Kreisverkehre. Das Terrain ist verführerisch. Es lädt geradezu dazu ein, gleich zu Beginn Boden gut zu machen und sich die Lichter auszuschießen. Ich entscheide mich jedoch, nicht gleich voll auf die Tube zu drücken, sondern mich im zügigen Tempo einzufahren. Eine kluge Entscheidung, denn danach sollte es gleich ordentlich zur Sache gehen. Der Col des Chevreres verlangt mir mit seinen Rampen gleich zu Beginn einiges ab. Es läuft jedoch sehr gut und ich erreiche schnell den Gipfel. Auf der Höhe geht es vor der Abfahrt ein wenig wellig weiter. Die hat es dann aber in sich; schmale Straße, schlechter Asphalt und teilweise 18% Gefälle. Die Bremsen sind am Limit und leisten Höchstarbeit. Die nächsten 20-25 km sind flach und wellig. Entgegen meinem Erwarten, bin es ich, der in der Ebene eine größere Gruppe bis an den Fuß vom Ballon d´Alsace anführt. Es läuft wie am Schnürchen. Alle Bedenken sind wie weggeblasen. Mit über 14 km/h im Schnitt und einer Trittfrequenz von weit über 90 geht es locker den Berg hinauf. Zur Belohnung gibt´s neidische Blicke der zahlreichen belgischen Teilnehmer. Sie sind jedoch teuer erkauft. Der Preis ist ein stark zunehmendes Hungergefühl, so daß ich mir oben an der Verpflegungsstelle gierig alles Mögliche in die Lucke stopfe, was nur annähernd nach Essen aussieht. Auf der Abfahrt muss ich zudem nahezu alle passieren lassen, die ich noch bergauf überholt hatte. Ich bleibe ruhig und konzentriere mich auf die Abfahrt. "Spätestens am Col du Hundsrück sehe ich euch wieder."

... und ich sollte recht behalten. Der Anstieg ist für mich keine Herausforderung, so daß ich mir wieder einen nach dem anderen schnappe und zusätzliche Plätze gut mache. Die zahlreichen Stürze und technischen Ausfälle, die ich bis dato gesehen hatte, machen mich jedoch nachdenklich und vorsichtig. Ich gehe auf den Abfahrten kein Risiko ein. Ich halte inne. Den Blick gen Himmel bitte ich darum, daß die Verletzungen nicht so schlimm sind wie befürchtet.

Endlich erreiche ich Bitschwiller-les-Thann am Fuß des Grand Ballon; der längste Anstieg des Rennens. Den Berg, den ich in und auswendig kenne. Die ersten 4 km geht es mit 5-7 % Steigung moderat zu. Der Tacho zeigt über 20 km/h. Danach wird es die nächsten Kilometer mit 9% etwas steiler. Es läuft. Keine Zeichen der Ermüdung. Im Stakkato-Schritt fliege ich bis zur Route de Cretes die nächsten Kilometer hinauf. Der Himmel ist pechschwarz. Es wird kalt. Hoffentlich halten die Wolken dicht. Schließlich hatte ich meine Regenjacke im Hotel gelassen. Ich bekomme Hunger und die Straße wird wieder steiler. Ich reiß mich zusammen. Schließlich sind es ja nur noch 3 km bis zum Gipfel bzw. bis zur Verpflegung. Oben angekommen, macht sich jedoch Enttäuschung breit. Wo ist bitteschön die Verpflegungsstelle? Ein schlechter Film. Wo hat der Ganz die Kamera versteckt? Es gab keine. Also erstmal völlig durchgefroren und mit Loch im Bauch auf der Höhenstraße weiter. Die Hände sind so kalt, daß ich Probleme habe den Lenker festzuhalten. Endlich! Auf der rechten Straßenseite ist die Station in Sichtweite. Es ist bitterkalt. Ich ziehe mit die Armlinge über. Der Hunger ist jedoch fast schlimmer als die Kälte. Kaum hatte ich in die Kartons gegriffen, waren Bananen, Riegel und Waffeln auch schon verschlungen.

Die Abfahrt kommt mir gefühlt wie eine Ewigkeit vor. Wegen der Kälte fällt es mir schwer, die Hände fest am Lenker und an den Bremsen zu halten, so daß ich mir sehnsüchtig den nächsten Anstieg herbeisehne. Als es dann in Kruth endlich wieder bergauf Richtung Col d´Oderen geht, macht sich Erleichterung breit. Es zeigt sich, daß es vorher trotz der Kälte eine gute Entscheidung war, etwas länger an der Verpflegungsstelle zu verweilen. Ein saucooles Gefühl, bergauf die privaten Begleitfahrzeuge zu überholen. Spielend kurble ich nähmaschinenartig den Berg hoch. Auch der nächste kleinere Anstieg ist im Nu erklommen. Nach ca. 185 km glaube ich tatsächlich ernsthaft daran, daß ich eine Brutto-Zeit von etwas über 8 Stunden schaffen kann. Aber da hatte ich die Rechnung ohne die Streckenplaner gemacht. Die letzten 30 km sollten zu einer wahren Odyssee werden: Zunächst ein Anstieg mit mind. 5 Rampen und einer Steigung von jeweils 15%+. Oben geht es wellig und auf schlechtem Asphalt weiter, so daß es schwierig ist, Tempo zu machen. Die schmale und verwinkelte Abfahrt erfordert dann auch noch einmal zusätzlich höchste Konzentration. Die letzten 7-8 km geht es flach in Richtung Ziel. Von der Beschaffenheit her eigentlich prädestiniert zum Tempo bolzen, aber der enorme Gegenwind lässt nicht mehr wie 30 km/h bei einem Puls von 190 zu. Zudem fehlt mir ehrlicher Weise auch die Kraft, um schneller zu fahren.

 

Endlich im Ziel. Der Tacho zeigt:

8 h 52 min, 24,6 km/h, 218 km und 4.311 hm ... der Veranstalter listet eine Geschwindigkeit von 23,98 km/h, aber gibt auch nur 213 km an.

Les 3 Ballons! Traumhafte Landschaft, gute Verpflegungsstellen, aber teilweise sehr gefährliche Strecke, weil sie für den normalen Verkehr freigegeben war. Manchmal hatte ich auch das Gefühl, daß Wegweiser im Nachhinein wieder entfernt wurden. Vielleicht hat mein Tacho auch deswegen 218 statt der 213 km angezeigt

Pas d´excuse! Glücklich aber erschöpft radle ich auch noch die 10 km vom Zielort ins Hotel zurück.